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Databroker Files: Wie uns Apps und Datenhändler der Massenüberwachung ausliefern

11. Jan 202510 minVon BLACKCOMMERCE Team

Die unsichtbare Überwachung in Ihrer Hosentasche

Ihr Smartphone weiß, wo Sie sind – immer. Doch es sind nicht nur Google und Apple, die diese Daten sammeln. Ein ganzes Ökosystem von Apps, Datenhändlern und staatlichen Akteuren verfolgt jeden Ihrer Schritte. Die investigativen "Databroker Files" von Netzpolitik.org und dem BR enthüllen ein erschreckendes System der Massenüberwachung, das auf scheinbar harmlosen Wetter-Apps und Spielen basiert.

Das Geschäftsmodell: Kostenlose Apps als Trojanisches Pferd

Die meisten Menschen nutzen täglich "kostenlose" Apps wie Wetter-Apps, Taschenlampen oder Spiele. Doch der wahre Preis ist unsichtbar: Ihre Standortdaten. Diese Apps sammeln kontinuierlich GPS-Koordinaten, Zeitstempel und Geräteinformationen und verkaufen diese an Databroker – Datenhändler, die daraus detaillierte Bewegungsprofile erstellen.

Ein einzelner Datenpunkt mag harmlos erscheinen. Doch wenn ein Databroker über Monate hinweg erfasst, dass Sie:

  • Jeden Morgen zur gleichen Zeit an der gleichen Adresse starten (Ihr Zuhause)
  • Regelmäßig an einem bestimmten Ort arbeiten (Ihr Arbeitsplatz)
  • Wöchentlich eine Arztpraxis besuchen (Gesundheitszustand)
  • Abends bestimmte Bars oder politische Veranstaltungen aufsuchen (Soziales Umfeld, politische Einstellung)

...dann entsteht ein detailliertes Persönlichkeitsprofil – ohne dass Sie jemals bewusst zugestimmt haben.

Von der App zum Geheimdienst: Die Lieferkette der Überwachung

Die Databroker Files zeigen, wie diese Daten in drei Schritten zur Massenüberwachung werden:

Schritt 1: Datensammlung durch Apps

Wetter-Apps wie "WeatherPro" oder Spiele wie "Candy Crush" integrieren Software Development Kits (SDKs) von Drittanbietern. Diese SDKs sammeln im Hintergrund Standortdaten – oft ohne dass Nutzer dies bemerken oder verstehen, was mit den Daten geschieht.

Schritt 2: Aggregierung durch Databroker

Unternehmen wie Gravy Analytics, Near Intelligence oder Huq Industries kaufen diese Rohdaten von hunderten Apps und kombinieren sie zu umfassenden Datensätzen. Sie behaupten, die Daten seien "anonymisiert" – doch Studien zeigen, dass eine Re-Identifizierung in den meisten Fällen möglich ist.

Schritt 3: Verkauf an staatliche Akteure

Diese aggregierten Datensätze werden an Geheimdienste, Militär und Strafverfolgungsbehörden verkauft. Das US-Verteidigungsministerium, deutsche Sicherheitsbehörden und weitere Akteure nutzen diese Daten für:

  • Gezielte Überwachung von Verdächtigen
  • Massenüberwachung von Demonstrationen und Versammlungen
  • Aufklärung in Krisengebieten
  • Predictive Policing und Verhaltensanalysen

Rechtliche Grauzone: Umgehung von Datenschutz und Grundrechten

Das perfide an diesem System: Es umgeht klassische rechtliche Schutzmechanismen. In vielen Ländern benötigen Behörden einen richterlichen Beschluss, um Standortdaten von Telekommunikationsanbietern zu erhalten. Doch wenn dieselben Daten einfach gekauft werden können, entfällt diese Kontrolle.

Die DSGVO verlangt explizite Einwilligung für die Verarbeitung von Standortdaten – doch in der Praxis verstecken sich diese Einwilligungen in seitenlangen Nutzungsbedingungen. Nutzer stimmen zu, ohne die Tragweite zu verstehen.

Reale Fälle: Von der Theorie zur Überwachung

Die Databroker Files dokumentieren konkrete Fälle:

  • Muslimische Community-Überwachung: US-Behörden kauften Standortdaten, um Besucher von Moscheen zu identifizieren und zu überwachen.
  • Demonstranten-Tracking: Bei Protesten in den USA wurden Bewegungsprofile von Teilnehmern erstellt und für strafrechtliche Ermittlungen genutzt.
  • Journalisten-Verfolgung: Autokratische Regime kaufen Datensätze, um kritische Journalisten und ihre Quellen zu identifizieren.

Die technische Realität: De-Anonymisierung ist trivial

Databroker behaupten regelmäßig, ihre Daten seien "anonymisiert" und enthielten keine persönlichen Informationen. Die Forschung zeigt jedoch:

  • Mit nur vier Standortpunkten können 95% der Nutzer eindeutig identifiziert werden
  • Zuhause und Arbeitsplatz sind in der Regel innerhalb von Tagen identifizierbar
  • Kombiniert mit öffentlichen Datenbanken (Handelsregister, Soziale Medien) ist eine vollständige Re-Identifizierung möglich

Was Sie tun können: Praktische Schutzmaßnahmen

1. App-Berechtigungen rigoros einschränken

  • Gewähren Sie Standortzugriff nur, wenn absolut notwendig
  • Nutzen Sie "Nur während der Nutzung" statt "Immer"
  • Überprüfen Sie regelmäßig, welche Apps Standortzugriff haben

2. Werbe-IDs deaktivieren

Sowohl iOS als auch Android bieten die Möglichkeit, Werbe-IDs zu deaktivieren oder zurückzusetzen. Dies erschwert das Tracking erheblich.

3. Datenschutz-freundliche Alternativen nutzen

  • Statt Google Maps: OpenStreetMap-basierte Apps wie OsmAnd
  • Statt kostenloser Wetter-Apps: Bezahl-Apps ohne Tracker
  • Browser mit integriertem Tracking-Schutz wie Firefox oder Brave

4. VPN und Privacy-Tools

Ein VPN verschleiert Ihre IP-Adresse, schützt aber nicht vor App-basiertem GPS-Tracking. Kombinieren Sie mehrere Maßnahmen für maximalen Schutz.

Unternehmen in der Verantwortung: Datenschutz als Wettbewerbsvorteil

Für Unternehmen bedeuten die Databroker Files eine klare Botschaft: Datenschutz ist nicht nur eine rechtliche Pflicht, sondern wird zunehmend zum Vertrauensfaktor und Wettbewerbsvorteil. Unternehmen sollten:

  • Transparent kommunizieren, welche Daten gesammelt werden und warum
  • Auf invasive Tracking-SDKs verzichten
  • Privacy-by-Design in Produktentwicklung integrieren
  • Regelmäßige Privacy-Audits durchführen

Politische Forderungen: Gesetzgeber sind gefragt

Die Databroker Files zeigen, dass bestehende Datenschutzgesetze nicht ausreichen. Notwendig sind:

  • Verbot des Verkaufs von Standortdaten an Dritte
  • Strenge Regulierung von Databroker-Unternehmen
  • Transparenzpflichten für Apps über Datenflüsse
  • Verbot staatlicher Behörden, Daten von Databroker zu kaufen

Fazit: Das Zeitalter der totalen Überwachung ist bereits da

Die Databroker Files sind keine dystopische Zukunftsvision – sie dokumentieren eine bereits existierende Realität. Millionen von Menschen werden täglich getrackt, ihre intimsten Bewegungen analysiert und verkauft. Das System ist perfide, weil es unsichtbar ist und auf vermeintlich harmlosen Apps basiert.

Doch es gibt Hoffnung: Durch bewusste Entscheidungen, technische Schutzmaßnahmen und politischen Druck können wir diesem Überwachungskapitalismus Grenzen setzen. Der erste Schritt ist Bewusstsein – und genau das schaffen die Databroker Files.

Die Frage ist nicht, ob Sie überwacht werden – sondern was Sie dagegen tun.

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